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Entzug

Jemand hat mir seine Faust in den Magen geschoben und bewegt sie mit leichten Drehbewegungen, dass mir ganz schwindelig wird, im leisen Takt des Herzschlages hin und her, vor und zurück. Mit geschlossenen Augen falle ich in die Tiefe der Ungewissheit und klammere mich an Minuten. Die Zeit fließt so zäh, dass ich sie mir wie eine dicke Masse durchsichtigen Schleim vorstelle, der die Fensterscheiben runter rinnt.

 

Eine Minute. Ich frage mich, was du gerade tust.

 

Zwei Minuten. Ich erinnere mich an deine Schulter nah bei meiner.

 

Drei Minuten. Ich lausche rüber zu meinem Telefon.

 

Morgenstunden erstrecken sich erbarmungslos vor mir. Am Morgen ist er stärker, der Entzug. Flatterig, nervös, unruhig drehe ich mich noch einmal im Bett um und rieche an den Laken. Erst gestern liebte ich dich noch. Gestern. Der Schleim fließt die Fensterscheiben hinauf.

Ich drehe das Wasser in der Dusche bis kurz vor den Verbrennungsschmerz und spüre den Puls in meinen Fingerspitzen nach, lehne meinen Kopf gegen die Kacheln und verfluche das Frausein. Der Stolz klopft leise an die Hintertür des Saales in dem die Hormone wild und unkontrolliert tanzen und mein Verstand winkt schwach lächelnd zu mir hinüber während er bemüht ist mit Peitschenhieben die Schurken in ihre Schranken zu weisen. Wieso meldet er sich nicht. Ein lautes Schnalzen zerreißt die Luft. Weil er nicht will.

 

Am Nachmittag ist es überstanden. Dann verabschiedet sich der Schmerz und der Stolz gewinnt. Dann ziehe ich mich warm an und laufe durch die weißen, rutschigen Straßen, reiße die Tür zum Lokal auf und sehe eine bunte Traube wild gestikulierender Menschen. Freunde, die mich mit verschmitzten Kommentaren empfangen. Wir machen Pläne, trinken, ich mache Pläne. Du sitzt in meinem Gedankenauto und fährst an mir vorbei ohne anzuhalten. Ich blicke dir kurz hinterher. Eine Sekunde. Lächelnd wende ich mich wieder dem Treiben im Lokal zu. Ich fühle das Leben vor dir, stelle es mir nach dir vor, während mein erhobenes Glas gegen das meines Gegenübers zart klirrt. Eine warme Flut der Gleichgültigkeit hebt meinen Optimismus und ich proste mir, der Frau, innerlich zu. Es wird schon gut werden.

 

Tatendrang, Neugier und Wohlwollen bringen mich narkotisiert in den Schlaf. Bis mir jemand seine Faust in den Magen schiebt. Jeden Morgen. Doch ich muss nur durchhalten und auf den Nachmittag warten und bis zu dem Morgen an dem dein Geruch verflogen ist.

 

Ich bin verliebt in dich. So ist es.

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