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Furzkissengeräusche

 

 

Selbstmitleid zieht, wie ein mächtiger Orkan, auf und pustet alle Rationalität aus meinem Hirn. Hysterisch schreie ich meine Freundin an, weil das einzige was ihr einfällt, um mich aus der Situation rauszuholen, ist: mich zu entführen. Es ist früher Nachmittag und der Weißwein ist warm. Egal. Heute ist nicht die richtige Zeit um wählerisch zu sein. Heute ist die richtige Zeit, um warmen Weißwein am Nachmittag zu trinken. Ich schreibe meiner Freundin, dass Entführung eine gute Idee ist.

 

Die verotzten Reste einer halben Klopapierrolle türmen sich neben mir auf der Couch. Manche liegen auf dem Teppich davor. Hochflor, damit es die Bakterien auch richtig gemütlich haben. Ich stelle mir vor wie der Pizzabote angeekelt einen Blick darauf wirft und so kicke ich einige Rotzfahnen unter die Couch. Ich möchte nicht zu einer Pizzabotengeschichte werden, die noch Wochen im Verein für Pizzaboten für Unterhaltung sorgt: „Ey ich sag dir, bei der Alten letzte Woche-alles voller Rotztücher-voll krass ekelig man!“

 

Ich falte meine Wäsche und heule. Mittlerweile fließt es ganz natürlich aus mir heraus. Die Hysterie ist verschwunden und die Traurigkeit gekommen. Im Minutentakt piepen und vibrieren Nachrichten von Freunden durchs Zimmer. Die Spreu trennt sich vom Weizen. Bekannte gratulieren, Freunde intervenieren. Und ich, nun angetrunken genug, warte. Auf den offiziellen Anruf um den ich nicht gebeten habe. Und während ich warte fange ich an mich zu schämen.

 

Dann kommen sie, es sind zwei. Gute Neuigkeiten verbreiten sich schnell aus verschiedenen Richtungen. Wie ein Furzkissen höre ich mich seltsame Geräusche imitieren. Nur, dass meine Absicht nicht die Imitation von Flatulenzen, sondern von Glück ist.

 

„Oh wie schön“- „Ja, ja. Das freut mich sehr“- „Hmhm-kann’s kaum erwarten“.

 

Ich kann es vor allem nicht erwarten die Wohnung zu verlassen, schrecke dann aber vor meinem Spiegelbild schockiert zurück. Langsam verschwindet der Nebel aus Wein, fettigem Essen und Katastrophenszenarien aus meinem Kopf und ich bin dankbar, dass der Verstand wieder das Zepter in die Hand nimmt, mein geschundenes Gesicht pflegt und alles an Gefühl irgendwo in der hintersten Ecke einlagert. Faszinierend was so geht. Erschöpft verschwinde nach größtmöglicher Restauration ich in die Nacht und widme mich Problemen und Sorgen anderer.

 

Als die Nacht mit ihren Zerstreuungen fast vorüber ist, sitze ich mit nackten kalten Füßen wieder auf meinem Balkon, ziehe an einer Zigarette und schwebe, etwas betäubt, davon. „War irgendwas?...Ach ja!“ Und ich weiß plötzlich: die einzige Möglichkeit aus dieser Sache rauszukommen ist, mich in die Situation mit erhobenem Kopf voll rein zu stürzen. Fake it ‘till you make it. Vielleicht wird aus den Furzkissengeräuschen irgendwann auch ein richtiger Furz. Und vielleicht wird aus der vorgetäuschten Freude auch noch richtige Freude. Einen Schritt nach dem anderen meine Damen und Herren.

 

Und morgen, vielleicht auch erst übermorgen weiß ich wieder-dass meine Traurigkeit nicht daher kommt, weil ich auf meinen Weg nicht auch glücklich wäre, sondern daher, dass andere daran kein Glück erkennen können. Und so oft ich auch darüber stehen kann, hin und wieder glaube ich denen, die mich mitleidig angucken werden, dass etwas an mir komisch ist.

 

„Recht haben sie“, denke ich, als ich mich bei Morgengrauen ins Bett lege, „ich bin schon irgendwo seltsam“. Zeit das bald mal wieder zu zelebrieren!

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